1 eyra war eine warmherzige Königin und ihr Herz war erfüllt von der Güte des heiligen Lichts. 2 Sie liebte ihr Volk und das Volk sollte seine Königin lieben; das bestimmte all ihr Tun. 3 Selbst dem Missetäter ward ihr Urteil stets Mahnung, doch Strafe nicht. 4 Im Laufe der Zeit wurde aus Ruhe Unruhe, aus Ehrerbietung wurde Hohn, aus Frieden wurde Aufruhr und sie galt als schwache Königin. 5 So begab es sich, das Norina, die Schwester des ermordeten Königs Aurel, ihren Sohn Endori zu sich rief und zu ihm sprach: Endori, mein geliebter Sohn, du bist nun alt genug und deine Zeit ist gekommen. Sprich zum Volk und verkünde deinen Anspruch auf den Thron; nimm was dein sein sollte. 6 Aber Endori erwiderte: Mag die Königin auch schwach sein und mag auch eine starke Hand oftmals nötig sein zum Wohle Aureliens, so hat sie dennoch viele, die sie lieben und für sie streiten. 7 Ohne Zweifel würde aurelisches Blut vergossen werden, wenn ich tue, was du mir sagst. 8 Ich will mich nicht versündigen, denn ist Königin Meyra nicht wahrlich eingesetzt vom heiligen Licht höchst selbst, gesegnet und zurückgekehrt durch die lichte Hand des Corinius, und ist sie nicht die Tochter deines Bruders Aurel? 9 Und Norina antwortete: Nach dem Tod von Aurel und seiner Tochter Meyra warst du der rechtmäßige Thronerbe, denn Gregus hat den Weg des Priesters gewählt. 10 Doch Recht hast du, wenn du sagst, das Königin Meyra den Aureliern zurückgegeben wurde durch die Gnade des heiligen Lichts. 11 Meyra ist unsere Königin nach dem Willen des heiligen Lichts, doch noch viel mehr ist Recht, Ordnung und Wohlergehen in Aurelien der Wille des heiligen Lichts. 12 Also sorge dich nicht, denn Aurelien braucht eine starke Hand und du, mein Sohn, bist der Auserwählte und rechtmäßige neue König; 13 ich sehe es, das Volk sieht es, und das heilige Licht sieht es auch. 14 Und so ging Endori unter das Volk und scharte eine Handvoll zwielichtiger Mitstreiter um sich. 15 Im Geheimen planten sie der Königin Tod. 16 Das Fest zum Gedenken an die Ankunft im verheißenen Land jährte sich und wie jedes Jahr begab sich Königin Meyra ohne großen Schutz unter ihr Volk. 17 Die Feierlichkeiten waren in vollem Gange, als Endori und seine Mitstreiter ihre Schwerter entblößten. 18 Doch das heilige Licht gab die Königin nicht in Endoris Hände. 19 Endori konnte überwältigt werden und Königin Meyra blieb unversehrt. Die Mittäter entkamen unerkannt. 20 Im Kerker wartete Endori nun auf das Urteil der Königin. Gewiss hoffte er auf ein mildes Urteil, so wie es immer gesprochen ward von der Königin. 21 Königin Meyra weinte Tränen der Enttäuschung. 22 Sie betete und sprach: O heiliges Licht, du hast uns in das Land Aurelien geführt und uns die lichten Gebote gegeben. 23 Stets war ich meinem Volk eine gütige Königin, dem heiligen Licht zum Wohlgefallen, doch mein Volk dankt es mir nicht. 24 Ich bin eine schwache Königin, denn harte Strafe wider einem Missetäter bricht mir das Herz; ich bin des Throns nicht würdig. 25 O heiliges Licht, nimm mir diese Bürde. 26 Und das heilige Licht sprach: Ich, das allmächtige Licht, habe dich gesegnet, durch die Hand des Corinius, und durch mich bist du den Aureliern gegeben. 27 Das erste Mal warst du gegeben als Königstochter, das zweite Mal warst du gegeben als Königin; nun sollst du ein drittes Mal gegeben sein als gnadenlose Richterin. 28 Und also richte in meinem Namen all jene, die Erings Thron an sich reißen wollen, denn du bist Königin nach meinem Willen, gleich so wie alle Könige vor dir und alle Könige, die nach dir kommen. 29 Fortan soll derjenige, der mit Wort oder Tat nach dem Königsthron strebt, welcher ihm nicht gebührt, für den Hochverrat bestraft werden mit dem Tod, denn er will meinen Willen beugen. 30 Vater und Mutter des Hochverräters sollen aus dem Land verbannt sein, gleichsam seine Nachkommen bis ins fünfte Glied, auf das der Hochverrat getilgt sei aus deinem Reich. 31 So gehe nun hin und sprich das Urteil nach meinem Willen, denn mein Wille geschehe. 32 Das heilige Licht sprach und so geschah es. 33 Königin Meyra sprach das Todesurteil über Endori und er wurde gerichtet mit dem Schwert. 34 Norina und ihr Gemahl Uriel wurden von Königin Meyra aus Aurelien verbannt und verließen das Land mit einem Schiff gen Norden.